_Futurization
Verfasst von Dr. Stephan Blankenburg, Automotive-Experte bei WAVESTONE
Schon heute würden OEMs wohl von sich behaupten, dass sie auf die Bedürfnisse ihrer Kunden eingehen. Doch tatsächlich ist die Kundenzentrierung von der bisherigen analogen Denkweise und Produktstrategie geprägt – zum Beispiel ist das Konfigurieren von Neufahrzeugen immer noch in erster Linie auf Hardware-Komponenten ausgelegt. In der Produktion erfordern vom Kunden gewählte Sonderausstattungen dann etwa den Einbau anderer, leistungsstärkerer Steuergeräte. Individualisierung konzentriert sich auf physische Ausstattungen und Materialauswahl.
Zudem orientiert sich die Customer Journey an jahrzehntelangen Vertriebswegen und -prinzipien. Die Erwartung der Kunden, beim Autokauf digitale Optionen nutzen zu können, wird oft nur zaghaft erfüllt. Für eine maximal kundenzentrierte Produktentwicklung muss die Automobilindustrie nun „digital first“ denken.
Kundenzentrierte Produktentwicklung benötigt digitale Produktoptionen
Software und Technologie bieten vielfältige Möglichkeiten, das Produkt Auto im Sinne maximaler Kundenzentrierung zu individualisieren. Sie basieren grundsätzlich darauf, dass die Hardwarevoraussetzungen für eine Funktionalität bereits in jedem ausgelieferten Fahrzeug verbaut sind und vom Kunden durch Software aktiviert und freigeschaltet werden können. Einige Beispiele:
- Erweiterung von Assistenzsystemen (etwa Effizienz-Assistent, Level-3-Automatisierung)
- Erweiterung digitaler Lichtsysteme (z. B. durch Projektion von Symbolen/Hilfslinien auf die Straße)
- Erweiterung von Fahrwerksfunktionen (z. B. Abstimmung der Federung, Aktivierung und Lenkeinschlag einer Hinterachslenkung)
- Individualisierung von AVAS-Klängen (Acoustic Vehicle Alerting Systems) innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs
- Individualisierung digitaler Cockpitanzeigen, Benutzeroberflächen und Innenraum-Features (etwa digitale Lichtbänder)
- Digitale Infotainment-Angebote (Audio-Streaming, digitaler Reiseführer etc.)
Hinzu kommt bei der kundenzentrierten Produktentwicklung die konsequente Digitalisierung der Customer Journey. Diese umfasst den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs, also zum Beispiel:
- Digitale Bestellung und Kundenbetreuung über verschiedene Kanäle (Omnichannel)
- Erweiterte Funktionalität und geräteübergreifende Nutzung von Konfiguratoren
- Digitale Statusupdates zur Fahrzeugproduktion bis hin zur Abholung
- Enge Verknüpfung zwischen Smartphone-App und Fahrzeug-Funktionen
- Digitales Service-Management (Meldung und Terminvereinbarung von Inspektionen)
- Digitaler Kontakt zum Kunden während des gesamten Nutzungszyklus des Fahrzeugs
- „Upselling“ neuer, digitaler Funktionen während des Nutzungszyklus des Fahrzeugs
- Digital unterstützte Zusatzangebote wie Kurzzeitmiete, Sharing etc.
Komplexe Ausgangslage
Die Erwartungen der Kunden, die sich aufgrund ihrer Erfahrungen mit Smartphones und digitalen Unterhaltungsangeboten ergeben, sind weitgehend global. Dennoch gibt es auf unterschiedlichen Märkten auch unterschiedliche Kundenwünsche und -bedürfnisse. Diese zu kennen und in einer Digitalisierungsstrategie zu berücksichtigen, ist für die kundenzentrierte Produktentwicklung in der Automobilindustrie eine wichtige Voraussetzung.
Gleichzeitig ist das heutige Produkt „Auto“, nicht zuletzt aus Gründen seiner bisherigen Entwicklungsgeschichte, extrem komplex und aufwendig. Aus den Kombinationsmöglichkeiten von Ausstattungen und Individualisierungen ergeben sich Millionen von Varianten.
Allerdings sehen sich OEMs zunehmend neuen Wettbewerbern gegenüber. Dies trifft zum einen auf junge Marken wie Tesla oder Lucid zu, die mit ihrer Produktentwicklung auf der „grünen Wiese“ starten und daher auch im Bereich digitaler Angebote von Beginn an neue Ansätze verfolgen konnten. Es gilt jedoch noch viel mehr für neue Player wie Google oder Apple, die sich dem Markt Automobil ohnehin konsequent mit Fokus auf Software nähern.
Wie lassen sich alte Erfahrungen in neues Mindset transformieren?
Der jahrzehntelange Erfahrungsvorsprung von Automobilherstellern fußt in weiten Teilen auf den Anforderungen und Voraussetzungen der „alten Welt“ – Produktionslogistik und Preisgebung von Sonderausstattungen, Plattform- und Modulstrategien sind allesamt Resultate dieser früheren Rahmenbedingungen. Mit Individualisierung auf Basis von Softwareprodukten gibt es hingegen kaum Erfahrung – dies reicht von der Produktion bis zur Preisfindung. Die gesamte Branche ist daran gewöhnt, dass sich Umsatz primär aus dem Fahrzeugverkauf und Aftersales-Dienstleistungen sowie zu einem eher kleinen Teil Aftersales-Nachrüstungen speist.
„Das Auto von morgen ist ein digitales Produkt in der realen Welt. Kundenzentrierung (statt Markt-Zentrierung) macht die digitalen Angebote erfolgreich.“
Dr. Stephan Blankenburg, Partner und Automotive-Experte
Schließlich fehlt häufig auch das Mindset, das für die Entwicklung adäquater softwarebasierter Lösungen erforderlich ist. Um in dieser Lage auch künftig zu bestehen, müssen OEMs die Kompetenzen für digitale und kundenzentrierte Produktentwicklung in der Automobilindustrie schnell ausbauen. Dies gilt für Produktplanung und -Realisation ebenso wie für die Definition des Pricings. Automobilhersteller müssen das Mindset im Unternehmen auf Kundenzentrierung verschieben. Dies erfordert auch den Mut, neue Methoden zu testen und Kundenbewertungen direkt in die Organisation zu integrieren. Die Zielsetzung: Das Auto von morgen ist ein digitales Produkt in der realen Welt. Kundenzentrierung (statt Markt-Zentrierung) macht die digitalen Angebote erfolgreich.
Kundenzentrierte Produktentwicklung: Das Auto von morgen ist ein digitales Produkt
Die Voraussetzungen für eine digitale Customer Journey im Sinne maximaler Kundenzentrierung beginnen bereits bei der Produktkonzeption. Dies umfasst die gesamte Fahrzeugarchitektur – so muss etwa die Hardware die notwendigen Voraussetzungen bieten, digitale Optionen und Dienste über den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs zu unterstützen.
Hinzu kommt die konsequente Digitalisierung der Customer Journey, insbesondere digitale Möglichkeiten von der Bestellung bis zur Kundenbetreuung über verschiedene Kanäle (Omnichannel). All dies erfordert nicht zuletzt eine Transformation des Mindsets in der Organisation. Dabei gilt die klare Zielsetzung: Das Auto von morgen ist ein digitales Produkt in der realen Welt. Konsequente Kundenzentrierung ist der Weg, um dieses Ziel zu erreichen.
Dr. Stephan Blankenburg
Automotive-Experte bei WAVESTONE
Dr. Stephan Blankenburg verantwortet den Bereich Automotive bei WAVESTONE. Vor seinem Wechsel zu WAVESTONE war er viele Jahre in den Bereichen Strategie-, Organisations- und Prozessberatung sowie für die Bereich Business Development und Technologieentwicklung bei und für verschiedene Unternehmen tätig. Neben seinen Beratungsschwerpunkten aus den Bereichen Strategie, Cultural Change und Digitalisierung interessiert er sich für Themen wie Leadership und Future Technologies.
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