Mit UNECE WP.29 R157 zur Realität des automatisierten Fahrens
Mit UNECE WP.29 R157 zur Realität des automatisierten Fahrens
Der Mercedes Drive Pilot macht Schlagzeilen: Als erster Hersteller hat es Mercedes-Benz geschafft, ein automatisiertes Fahrsystem der Stufe 3 gemäß UNECE WP.29 R157 kommerziell anzubieten und hat somit den strengen Validierungsprozess bestanden. Doch was bedeutet das genau und warum handelt es sich dabei um eine so wichtige Entwicklung für die Automobilindustrie?
Ein kurzer Abriss der Geschichte
Seit jeher herrscht ein Wettlauf zwischen neuen Technologien und staatlichen Vorschriften. Die erste Geschwindigkeitsbegrenzung wurde bereits 1652 in einem Ort eingeführt, der später New York werden sollte: Das Galoppieren der Pferde, die die Wagen zogen, wurde für gesetzwidrig erklärt. Diese Geschwindigkeitsvorschriften mussten entsprechend angepasst werden, als motorisierte Fahrzeuge an Popularität gewannen und Pferde plötzlich aus den Städten verschwanden.
Ein paar Jahrhunderte später steht uns ein weiterer Wandel bevor: Roboter und Algorithmen haben langsam die Aufgaben des Fahrers ersetzt. So wie die Gesetzgebung durch die Abkehr von der Pferdekutsche geändert werden musste, müssen nun neue Gesetze erlassen werden, um einen reibungslosen Übergang vom menschlichen zum automatisierten Fahren zu gewährleisten und die Sicherheit zu garantieren. Dabei gilt: Vorschriften, die heute gut geeignet sind, sind möglicherweise für die nächste Generation des technologischen Fortschritts unpraktisch oder sogar schädlich.
UNECE-Regelung WP.29 R157 als Meilenstein in der Fahrautomatisierung
Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf den von der Society of Automotive Engineers (SAE) gezeichneten Weg zum autonomen Fahren:
- Die Fahrerassistenzsysteme werden üblicherweise in 5 Stufen unterteilt, wobei Stufe 0 keinerlei Automatisierung und Stufe 5 volle Fahrfähigkeit ohne menschliches Eingreifen unter allen Umständen beschreibt.
- Die Stufen 1 und 2 erfordern eine ständige Überwachung durch den Menschen und bieten Fahrerassistenzsysteme wie die adaptive Geschwindigkeitsregelung und den Spurhalteassistenten. Entgegen der landläufigen Meinung und der oberflächlichen Werbung sind die derzeitigen Ansätze (sogar der Tesla Autopilot) noch nicht über die Beschränkungen der Stufe 2 hinausgekommen, da die Haftung für verursachte Schäden noch immer vollständig beim Fahrer liegt.
- Dies wird sich jedoch mit der UNECE-Regelung WP.29 R157 Automated Lane Keeping System (ALKS) ändern, die den Einsatz von bedingter Automatisierung (Stufe 3) regelt. Vor allem bei einem Fahrerassistenzsystem der Stufe 3, wie es bei dem neu verfügbaren Mercedes Drive Pilot der Fall ist, kann die Haftung unter bestimmten Umständen auf den Automobilhersteller übertragen werden.
Die Regelung auf einen Blick
Die UN-Regelung Nr. 157 befasst sich mit der Zulassung von automatischen Spurhaltesystemen. Sie ist seit 2021 in Kraft getreten und stellt ein verbindliches Dokument für 64 Länder (einschließlich Deutschland) dar. Obwohl der Güterverkehr stark von fortschrittlichen Fahrerassistenzsystemen profitieren würde, ist der Geltungsbereich der aktuellen Verordnung noch auf Personenkraftwagen beschränkt. Wesentliche Voraussetzungen für den Betrieb (Operational Design Domain) sind Autobahnen und eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Die Aufgabe besteht darin, das Fahrzeug in der Fahrspur zu halten. Ein Spurwechsel, sei es zum Überholen oder zum Ausweichen, ist daher verboten.
Im Zweifel muss noch immer der Fahrer übernehmen
Bei der Beobachtung des Mercedes Drive Pilot fällt auf, dass der Fahrer regelmäßig daran erinnert wird, die Fahraufgabe zu übernehmen. Hierfür gibt es zwei wesentliche Gründe: Zum einen muss das so genannte Driver Availability Recognition System sicherstellen, dass der Fahrer jederzeit in der Lage ist, die Fahraufgabe zu übernehmen. Genauer gesagt, müssen mindestens zwei Verfügbarkeitskriterien erfüllt sein. Dies kann die Überwachung von einfachen Indikatoren wie Augenblinzeln, das Schließen der Augen oder bewusste Kopfbewegungen sein. Zweitens müssen die vom Hersteller im Voraus festgelegten Voraussetzungen für eine sichere und vorhersehbare Umgebung erfüllt sein, damit das System aktiv bleibt. Andernfalls muss eine Rückgabe der Kontrolle an den Fahrer eingeleitet werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es aufgrund der fehlenden gesetzlichen Regelung, was als sichere Umgebung gilt, Unterschiede zwischen den Herstellern und ihrer Auslegung der SAE-Autonomiestufe 3 geben wird. Eine weitere Herausforderung, der sich die Industrie zwangsläufig stellen muss, ist die Komplexität der Mensch-Maschine-Schnittstelle – insbesondere die schnelle Übertragung der Verantwortung auf den Fahrer.
Automotive Cyber Security Aspekte rücken in den Fokus
Um die Rückverfolgbarkeit im Falle eines Unfalls zu gewährleisten, muss ein Datenspeichersystem für automatisiertes Fahren (DSSAD) in Betrieb sein, damit das System funktioniert. Bedenken hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre, des Datenschutzes und der Cybersicherheit werden zu offensichtlichen Problemen, mit denen sich Hersteller auseinandersetzen müssen. Darüber hinaus stehen die Hersteller vor der enormen Verantwortung, die Sicherheit und kontinuierliche Konformität des ALKS-Systems während seiner gesamten Lebensdauer zu gewährleisten.
Sensorfusion und Systemredundanz als technische Top-Themen
Sensorfusion und Systemredundanz sind derzeit ein Top-Thema in der Automobiltechnik. So ist es nicht verwunderlich, dass in der Verordnung die Notwendigkeit eines Ausweichbetriebsmodus definiert wird. Einerseits muss das System in der Lage sein, Umgebungsbedingungen zu erkennen und zu kompensieren (z.B. solche, die den Erfassungsbereich reduzieren). Andererseits muss eine Backup-Effektivität definiert werden, um die Betriebssicherheit mit einem redundanten System im Falle eines technischen Ausfalls zu gewährleisten. Also: Keine Panik, wenn Ihr neues Auto auf der Autobahn plötzlich bremst, während Sie gerade diesen Artikel lesen. Nach R157 ist eine stärkere als die übliche Verzögerung für kurze Zeit als haptische Rückmeldung erlaubt, um die Aufmerksamkeit des Fahrers zu wecken.
UNECE WP.29 R157: ALKS, eine erste Vorschrift für automatisiertes Fahren
Deutschland als Vorreiter bei der Umsetzung der UNECE WP.29 R157
Ein wichtiger Aspekt der UN-Regelungen ist die nationale Umsetzung in den einzelnen Ländern. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein, da es als erstes Land sein Straßenverkehrsgesetz entsprechend angepasst hat. 2017 wurde das Gesetz zum hochautomatisierten Fahren (~SAE Level 3) und 2021 das Gesetz zum autonomen Fahren der SAE Level 4 und 5 verabschiedet. Da beide Gesetzte sehr allgemein formuliert sind, hat das Bundesverkehrsministerium 2022 die Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung erlassen, die Richtlinien für den realen Einsatz aufzeigt. Obwohl diese Fortschritte in der Automobilbranche grundsätzlich begrüßt werden, machen sich Kritiker Sorgen über die langfristige Umsetzbarkeit und die technische Fundierung der Regelungen. Bitkom, ein digitaler Branchenverband, der mehr als 2700 Schlüsselakteure im Bereich digitaler Technologien vertritt, kritisiert unter anderem die Notwendigkeit einer erweiterten Abfahrtskontrolle durch den Nutzer und eine 90-tägige verpflichtende Gesamtuntersuchung des Fahrzeugs.
Dennoch scheint eine vielversprechende Zukunft vor uns zu liegen: In einer Mitteilung des Bundesverkehrsministeriums heißt es, dass Deutschland aktiv an der Erweiterung der UN-Regelung zu ALKS arbeitet. Dabei ginge es insbesondere um die Anhebung der Höchstgeschwindigkeit auf 130 km/h und die Ermöglichung von Spurwechseln. Also: Anschnallen, zurücklehnen und chauffieren lassen.
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