RADICALLY SUSTAINABLE: Nachhaltigkeit muss mehr sein als ein grüner Anstrich

Nachhaltigkeit und Verantwortung statt Greenwashing

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Autor: Jan-Hendrik Uhlenberg, ESG-Experte bei WAVESTONE

Aushängeschild Nachhaltigkeit: Kunden, Mitarbeiter:innen, Gesetzgeber und Investoren fordern sie zunehmend ein, Unternehmen müssen liefern. Nur lässt sich das nicht in jeder Branche so leicht umsetzen. Die Gefahr ist real, nur Greenwashing zu betreiben. Ein Schlagwort alleine reicht hier nicht, um glaubwürdig zu sein. 

Nachhaltigkeit hat in den vergangenen Jahren im Wirtschaftskontext eine beachtliche Karriere hingelegt. Immer mehr Unternehmen werben damit, nachhaltig zu wirtschaften und fair zu produzieren, betiteln Produkte und Dienstleistungen als grün oder betonen ihre soziale Verantwortung mit eigens dafür konzipierten Projekten. Damit bedienen sie auch eine wachsende Erwartungshaltung auf Kundenseite: Vor allem die jüngere Generation wird hier zunehmend anspruchsvoll, erwartet Glaubwürdigkeit – und ist mehr denn je bereit bei Konsumentscheidungen oder der Wahl des Arbeitgebers im Zweifelsfall zum Wettbewerb zu wechseln. Selbstredend, dass dies bei Unternehmen immer mehr Druck erzeugt, ihre Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung unter Beweis zu stellen.

Doch nicht alle Firmen erfüllen die Bedingungen dafür oder können ihr Geschäftsmodell schnell daran anpassen. Im Gegenteil: es handelt sich in vielen Fällen noch um Lippenbekenntnisse, wie beispielsweise eine aktuelle Unternehmensumfrage der Personalberatung Russel Reynolds unter deutschen Vorständen ergeben hat. Demnach gaben 46 Prozent an, Nachhaltigkeitsmaßnahmen aus Marketinggesichtspunkten zu verfolgen, um als gesellschaftlich verantwortlich angesehen zu werden oder sich durch Nachhaltigkeit vom Wettbewerb absetzen zu können. Lediglich 15 Prozent der Befragten setzen auf Nachhaltigkeit, um zusätzliche Wertschöpfung im Unternehmen zu generieren. Nicht wenige erliegen dabei der Versuchung, lediglich Greenwashing zu betreiben – und riskieren damit in vielen Fällen, dass der Schaden am Ende größer ist als der Nutzen. Denn die Stakeholder sind streng.

Nachhaltigkeit in der Unternehmens-DNA verankern

Und so lassen sich Negativbeispiele für Greenwashing nach wie vor in fast allen Branchen ausmachen – von der Textilindustrie über Konsumgüter und Lebensmittel bis hin zu Anbietern von Finanzprodukten. Bewusst oder unbewusst: Die Versuchung sich nachhaltiger zu geben als man gemeinhin ist, bleibt hoch.

Doch gerade Unternehmen, in deren DNA nachhaltiges Handeln bislang noch nicht verankert ist, sollten hier standhaft bleiben und sich einem ernstgemeinten Prozess unterziehen, bevor sie mit ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit werben: Wo gibt es echtes Potenzial für nachhaltigeres Handeln und wo wären die Zugeständnisse zu groß? Ein erster Schritt kann sein, das eigene Unternehmen umweltbewusster aufzustellen – etwa indem Mitarbeiter:innen statt einem Firmenwagen ein flexibles Mobilitätspaket erhalten. Möglichkeiten gibt es viele. Werfen wir beispielhaft einen Blick auf drei Branchen.

„Unternehmen, in deren DNA nachhaltiges Handeln noch nicht verankert ist, sollten sich einem ernstgemeinten Prozess unterziehen, bevor sie mit Nachhaltigkeit werben.“

Jan-Hendrik Uhlenberg, Experte für ESG-Themen bei WAVESTONE

ESG steht für Environmental Social Governance. Dabei handelt es sich um eine im Jahre 2006 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufene Initiative zur freiwilligen Selbstverpflichtung bezüglich der Integration von ESG-Faktoren in Investment­entscheidungen und in das Management von Assets, welche sich durch die Unterschrift der Prinzipien manifestiert.

1. Die Finanzindustrie wird beim Thema Nachhaltigkeit stärker in die Pflicht genommen

Auch bei Geldanlagen spielt der Nachhaltigkeitsgedanke eine zentrale Rolle: Immer mehr private wie institutionelle Anleger legen Wert darauf, dass ihr Geld in nachhaltige Investments fließt. Das belegt unter anderem die aktuelle Nachhaltigkeitsstudie 2021 der Fondsgesellschaft Union Investment. Demnach investieren mittlerweile 78 Prozent der Großanleger:innen ihr Geld nachhaltig. Im Jahr 2017 lag ihr Anteil noch bei 64 Prozent. Außerdem achten Anleger:innen zunehmend darauf, dass nicht nur die Anlage selbst nachhaltig ist, sondern dass auch im Unternehmen selbst Klima- und Umweltschutz gelebt wird, wie eine aktuelle Umfrage des Bankenfachverbands zeigt.

Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Bleibt die Frage, wie nachhaltig die Finanzunternehmen selbst und ihre Anlagen tatsächlich sind. Dass künftig noch transparenter gearbeitet wird, dafür hat die Europäische Union gesorgt: Mit dem Jahr 2022 ist die Taxonomie-Verordnung des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums in Kraft getreten. Die Verordnung nennt sechs konkrete Kriterien zur Orientierung, darunter Klimaschutz, Schutz der Umwelt und Übergang zur Kreislaufwirtschaft. Sie sind ab sofort Maßstab dafür, ob Finanzprodukte als nachhaltig eingestuft werden können oder eben nicht.

Es ist also zu erwarten, dass Anleger künftig noch stärker als bisher Nachweise über den Nachhaltigkeitsgrad eines Investments einfordern. Das stellt viele Unternehmen nochmal vor neue Herausforderungen. Denn noch gibt es keine einheitlichen Ratingstandards. Stattdessen werden Banken und Finanzdienstleister eigene ESG-Ratings erstellen, damit Finanzprodukte gemäß der Anlageprofile ihrer Kunden besser bewertet werden können und mit fremden Produkten vergleichbar sind. Und sie werden sich auch damit befassen müssen, offen über ihre eigene Nachhaltigkeit zu informieren.

Die kommenden Jahre werden daher spannend. Fakt ist in jedem Fall: Die Finanzbranche trägt – getrieben durch Politik, Aufsicht und Kunden – entscheidend zum Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft bei. Frühzeitig und glaubwürdig in der Unternehmensstrategie verankert, können sich Banken durch nachhaltige Finanzprodukte am Markt jedoch differenzieren und neue, überwiegend junge Kundengruppen, erschließen.

Finanzindustrie muss beim Thema Nachhaltigkeit stärker in die Pflicht genommen werden

Die Finanzbranche trägt zu einer nachhaltigeren Wirtschaft bei.

Die Finanzbranche ist ein maßgeblicher Treiber für mehr Nachhaltigkeit.

2. Mobilität: Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit

Gute Chancen, nachhaltiger zu werden, sind auch im Mobilitätssektor zu verorten. Möglichkeiten gibt es viele – der Einsatz alternativer Antriebe für Autos, Busse und Züge, der Umstieg von der Straße auf die Schiene, der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs oder die Reduktion von Geschäftsreisen sind nur einige Beispiele.

Heute schon eine Erfolgsgeschichte in Sachen Nachhaltigkeit ist der Zugverkehr. So treibt beispielsweise die Deutsche Bahn mit dem Investitionsprogramm „Neues Netz für Deutschland“ den analogen wie digitalen Ausbau der Infrastruktur weiter voran: Allein in diesem Jahr investieren DB, Bund und Länder 13,6 Milliarden Euro. Auch sollen bis zum Jahr 2040 keine Züge mehr mit fossilen Kraftstoffen fahren, sondern auf komplett elektrifizierten Strecken oder mit alternativen Antriebsformen wie Wasserstoff. Und die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) wollen bereits 2030 klimaneutral unterwegs sein.

Beim straßengebundenen Verkehr sieht es noch anders aus. Hier lässt sich eine echte Mobilitätswende nur erreichen, wenn das Angebot so vernetzt und flexibel wie möglich wird. Mobilität muss in Zukunft umweltfreundlicher und platzsparender als die vielen privaten Fahrzeuge und außerdem zeitlich und räumlich jederzeit verfügbar sein. Das hat zuletzt die Studie „Mobilitätswende 2030 – vom Linienbus zur öffentlichen Mobilität der Zukunft“ des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE sowie für Materialfluss und Logistik IML im Auftrag von DB Regio bestätigt.

Um das zu ermöglichen, sind neben den Mobilitätsanbietern auch die Städte und Landkreise gefragt. Sie können mit klugen On-Demand- und Sharing-Konzepten oder Mobilitätsstationen an Bahnhöfen oder Bikesharing an ÖPNV-Haltestellen einen entscheidenden Beitrag leisten und dafür auch digitale Lösungen einsetzen – zum Beispiel eine Mobilitätsplattform, auf der alle Mobilitätsangebote gebündelt und unkompliziert bestellt werden können. Auch einheitliche Tarife sind ein gutes Mittel, die Menschen aus den Autos in den ÖPNV zu locken. Einige Städte sind im Bereich On-Demand-Projekte schon weit und haben entsprechende Angebote. Dazu gehören derzeit zum Beispiel Darmstadt, Taunusstein oder Münster (Westfalen), andere haben noch Nachholbedarf.

Zusammengefasst: Vieles ist schon da, was Technologie, Ideen und Konzepte betrifft, ebenso wie der grundsätzliche Wille zur Veränderung. Was nun folgen muss, ist eine konsequente Umsetzung. Dafür braucht es auch die Unterstützung der Politik. Dann ist der Weg in Richtung Zukunft frei.

Deutsche Bahn liegt bei Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit vorne

Für mehr Nachhaltigkeit: Die Deutsche Bahn bringt Personen- und Güterverkehr von der Straße auf die Schiene.

Für mehr Nachhaltigkeit: Die Deutsche Bahn bringt Personen- und Güterverkehr von der Straße auf die Schiene.

3. Was passieren muss, um Online-Versandhandel und Paketzustellung nachhaltiger zu machen

Eng mit dem Thema Mobilität verbunden ist eine weitere Branche, der Online-Versandhandel. Auch hier stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit: Wie umweltbewusst und sozial verträglich handeln Amazon und Co.? Welche Alternativen kann es zukünftig für die Lieferung von Paketen geben? Klar ist in jedem Fall, dass die Paketbranche weiterwächst: So verzeichnet der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) 4,05 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen für das Jahr 2020, eine Steigerung von 10,9 Prozent zum Vorjahr. Im Schnitt wurden pro Tag mehr als 13 Millionen Sendungen an mehr als 8 Millionen Kunden geliefert. Die ursprünglich für 2025 erwartete Sendungsmenge wird voraussichtlich bereits 2022 erreicht. Auch nach dem Ende der Pandemie wird das Volumen ziemlich sicher auf einem hohen Niveau bleiben.

Doch noch basiert das Liefersystem auf teils veralteten Fahrzeugen, die Wege zwischen Paketzentren und Lieferadressen sind lang. Dies trägt in den Städten maßgeblich zum Verkehrskollaps und zur Feinstaubbelastung bei. Um langfristig nachhaltig, umweltbewusst und damit zukunftsfähig zu bleiben, sind in Zukunft Konzepte für „Smart City Logistik“ gefragt. Dazu zählen emissionsarme Lieferfahrzeuge wie E-Vans oder Cargobikes und auch autonome Lieferroboter sind durchaus denkbar. Noch wichtiger ist allerdings, dass die wachsenden Paketströme deutlich besser gelenkt werden als bisher. Optimierungspotenzial hierfür bietet sich vor allem auf der sogenannten „letzten Meile“ an. Nach wie vor werden zur Paketübergabe die gleichen Lieferadressen mehrmals täglich von verschiedenen Kurier-, Express- und Paketdiensten angefahren. Das sorgt für unnötige Emissionen und eine Verschärfung der ohnehin bereits angespannten Verkehrssituation.

Je weniger Lieferfahrzeuge in den Innenstädten unterwegs sind, desto besser. Dazu beitragen können Microdepots, die als Warenumschlagsplatz für häufig nachgefragte Artikel dienen und Sendungen der verschiedenen Dienstleister sammeln, damit eine gebündelte Zustellung erfolgen kann. Gleichzeitig muss auch hier die Digitalisierung weiter ausgebaut werden. Dies ermöglicht eine effizientere Lagerlogistik, eine bessere Vernetzung von Logistikunternehmen untereinander für die ideale Auslastung von Transportfahrzeugen sowie die intelligentere Planung von Routen und Zustellfenstern. Dann hat die Logistikbranche das Potenzial, trotz einer zunehmenden Zahl von Sendungen dennoch nachhaltig zu agieren.

Greenwashing vermeiden - Nachhaltigkeit muss authentisch sein

Nachhaltigkeit statt Greenwashing

Durch Digitalisierung und eine stärkere Vernetzung kann die Logistik nachhaltiger werden.

Geschäftsmodell grundlegend auf den Prüfstand stellen

Wir halten fest: Der Wertewandel der Gesellschaft hin zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit ist spürbar, er zieht sich quer durch die Branchen und wird durch eine steigende Nachfrage immer stärker befeuert. Unternehmen können und müssen diese Entwicklung als Chance begreifen, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben – indem sie ihr Handeln so tiefgreifend wie möglich umweltbewusst, nachhaltig und verantwortungsvoll gestalten. Greenwashing ist schlicht keine Alternative.

Unternehmen, die Nachhaltigkeit wirklich ernsthaft angehen wollen, müssen ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie auf den Prüfstand stellen und Spielräume herausarbeiten. Wo wären die Zugeständnisse an die Effizienz oder die Kundenzentriertheit gegebenenfalls zu groß? Kurz, wie sähe der wirtschaftliche, ökologische und soziologische Mehrwert aus? Hier klug abzuwägen, ist essenziell. Wir helfen Ihnen dabei!

Autor

Jan-Hendrik Uhlenberg

ESG-Experte bei WAVESTONE

Jan-Hendrik Uhlenberg verantwortet den Bereich Risikomanagement und ESG bei WAVESTONE. Der diplomierte Wirtschaftsinformatiker und MBA verfügt dabei über mehr als 17 Jahre Consulting-Erfahrung und bringt besondere Expertise in den Bereichen Projekt- und Programmmanagement, qualitatives Risikomanagement, Sustainable Finance & ESG mit Fokus Versicherungen mit.

SUSTAINABLE Sustainability / Nachhaltigkeit
Jan-Hendrik Uhlenberg

Jan-Hendrik Uhlenberg